Gedanken zur Stille

«Ein Tag ohne Alleinsein, ohne Stille, ohne das Grün eines Baumes oder die Weite des Himmels ist kein gelebter Tag. Und wenn es nur eine halbe Stunde während des Tages ist oder abends vor dem Schlafengehen, wenn es nur ein Strauch ist, der vor dem Fenster grünt, oder ein paar Blumen in der Vase, das Wort eines Dichters, ein paar Takte Musik.» (Theodor Hieck)

Stille ist meine Freundin, sie ist verlässlich und anwesend, in Momenten des Alleinseins, in der Natur und nach Lärmstrapazen. Ihr Unermesslichkeit fordert heraus, ich stelle sie mir in der Tiefe des Ozeans oder in der Weite des Alls vor. 

Stille und Raum sind verbunden, als Hörende lauschen wir in die Umgebung hinien. 

Mich hörend einlassen, ist für mich dann einladend, wenn sich Klänge dynamisch ausgleichend verhalten und gleichzeitig für sich erkennbar bleiben. Dann kann ich mich mit ihnen verbinden. In diesem Sinne erkennt mein Gehör kleinste Geräuschabweichungen, deutet sie, gestaltet sie und komponiert aus dem Gehörten ein persönliches Klangbild, eine Atmosphäre. Verschiedene Arten der Stille, wie die des Sonnenuntergangs, einer Waldlichtung, einer Schneelandschaft, eines Bergsees, einer zuhörenden Person oder die Stille nach einem Donnerschlag bergen ganz verschiedene Stimmungen. 

In der Improvisation ist sie unser gemeinsamer Bezug. Aus der Stille heraus starten wir, sie gibt während des Spiels Raum, sie tritt in den Schatten der Klänge, verschwindet nie, und auch in chaotischen und dynamischen Interaktionen ist sie präsent, nutzt Millisekunden. Im luftigen Timbre einer Stimme, zwischen den Betonungen eines Trommelwirbels oder im Klang eines fein gestrichenen Cellotons schwingt sie mit und scheint greifbar.

Ich horche – «Stille» – und bedanke mich, für ihr Dasein und für ihre Überraschungen, mit denen sie uns immer wieder beschenkt.

Improvisation durch Hören

«Wie beziehst du eigentlich Musikimprovisation in deinen Alltag mit ein?»

Wenn ich therapeutisch arbeite oder in Ensembles improvisiere, frage ich mich immer wieder, ob es möglich ist, zuhörend und still mit dem Gegenüber zu kommunizieren. In einem Punkt bin ich mir bis mittlerweile sicher, wenn ich jemandem mit meiner uneingeschränkten Aufmerksamkeit zuhöre, verbinde ich mich mit seiner Stimme, seiner Stimmmeldodie, der Stille zwischen den Äusserungen und wenn ich kann mich auf den Inhalt des Gesagten einlassen.

Höre ich musizierend zu, so geschieht es vermehrt, dass sich die Zeit im Moment verändert, die Musik als Momentum scheint greifbar zu werden, in diesen kleinen Augenblick gelingt es vorauszuhören, was als nächstes musikalisch erklingen könnte. Hellhörig werden könnte heissen, dass das «Innere Ohr» sich mit dem musikalischen Geschehen verbindet und das Hören sich in der Zeitdimmension und im Raum ausdehnt.

Meine Arbeitsweise bei der Suchtberatung beruht auf von der Berner Gesundheit, meinem Arbeitgeber, anerkannten Gesprächsführungsmethoden. Schon als Sozialpädagoge war eine der Grundlagen in der Arbeit mit Menschen das «aktive Zuhören» von Carl Rogers. Wie ich in die Improvisation eintauchte wurde mir klar wie nahe sein aktives Zuhören mit dem musikalischen Hören verbunden ist.

Dem Begriff «Aktiv Zuhören» begegnete ich immer wieder neu! David Darling der Mitgebründer von Music for People legte in den Workshops viel Wert auf das Zuhören, oft teilten wir die Gruppe in kleine Ensembles auf und lauschten in unseren Improvisationen hinein. Die Spielenden lud er immer wieder ein, sich auf die Stille zu achten. Von ihr geht aller Klang aus zu ihr kehren wir im Spiel zurück.

Pauline Oliveros hat den Begriff Deep Listening ins Spiel gebracht. Eine «Tiefen»- Erfahrung, ein Musikerlebnis in einer Zysterne in Washington, führte sie zu neuen Formen des Zuhörens, der Improvisation und Elektronischer Musik. Die Präsenz und Haltung, sowie der akustische Hall in der Stille sind zentral beim Deep Listening.

Zusammenfassend stelle ich fest, dass die Hörschulung in der Musik einen starken Einfluss auf meine lauschende Präsenz in den Beratungs- und Therapiegesprächen hat und umgekehrt, dass tägliche Zuhören in Gesprächen die Fähigkeit trainiert, sich in der Musik auf einander einzuschwingen, beweglich zu bleiben und mich gemeinsamen mit musikalischen Moment zu verbinden. In der Sozialarbeit wird aktuell der Begriff «co-musikalische Beratung» beleuchtet, das Hören sehe ich in diesem Zusammenhang als zentrales Element.

Ich lerne Alltag täglich und übe mich, wie ich mein Hören schärfen, einfühlen oder deutlich machen kann. Singend, spielend, erzählend und zuhörend.